Stellungnahme des NRW Landesverband Visuelle Künste e.V. zur Richtlinie des Landes Nordrhein-Westfalen für Honoraruntergrenzen für den Kulturbereich
vom 14. Februar 2025

NRW zeichnet sich durch eine besonders lebendige Kunstszene mit einer in Deutschland einzigartigen Dichte an bildenden Künstler:innen, Ausstellungshäusern, Museen, Kunst und Bau, Kunstakademien, Kunstschulen, Galerien, Verbänden und weiteren Protagonist:innen der visuellen Künste aus. All diese Akteur:innen bedingen sich in ihrer jeweiligen Qualität gegenseitig und bilden gemeinsam ein lebendiges Ökosystem, das die Visuellen Künste in NRW trägt und essentieller Teil der Kulturlandschaft ist.
Die Basis für dieses agile Ökosystem ist die Kunst, die von Künstler:innen erdacht und geschaffen wird.
Bildende Künstler:innen sind soloselbständige Unternehmer:innen. Sie müssen von ihrer Kunst leben. Kunstwerke, die ortsspezifisch für Ausstellungen produziert werden, können jedoch nicht kommerziell verwertet werden, und der ideelle Mehrwert der Kunst liegt ebenso außerhalb des wirtschaftlich Nutzbaren. Deshalb erwarten bildende Künstler:innen ein adäquates Honorar für ihre künstlerische Arbeit.
Der NRW Landesverband Visuelle Künste begrüßt die Einführung von verpflichtenden Mindesthonoraren, die ab dem 1.1.2026 für alle Kultursparten gilt, und bedankt sich herzlich bei der Landesregierung, die auf diese Weise das gesellschaftlich relevante Engagement der Künstler:innen unterstützt.
Die Höhe der jeweiligen Honorare regelt eine nach Aufgaben und Kultursparten spezifizierte Matrix. Die Tabelle nennt für den Bereich der bildenden/visuellen Kunst Auftrittshonorare für Performances und Vorträge, die im Zusammenhang mit einer Ausstellung stattfinden. Darüber hinaus ist die Zahlung einer Ausstellungsvergütung*, deren Höhe sich an der Laufzeit der Ausstellung berechnet, verpflichtend.
Leider bleibt das Gros der künstlerischen Leistung, die im Rahmen einer Ausstellung erbracht wird, unberücksichtigt. Dies betrifft vor allem:
- Neuproduktionen: Künstler:innen konzipieren, entwerfen und produzieren ein neues Kunstwerk für eine konkrete Ausstellungssituation,
- Modifikationen: Ausstellungsorte möchten ein schon existierendes Kunstwerk präsentieren und benötigen eine ortsangepasste Konzeption,
- Ausstellungsaufbau: Künstler:innen installieren ihre Arbeiten vor Ort in der Ausstellung.
Vor allem raumgreifende Arbeiten entstehen meist im Rahmen von Ausstellungen und ortsspezifisch in Kunstvereinen oder Projekträumen, bisweilen auch in Museen. Denn: Das Charakteristische, sozusagen die systemrelevante Praxis der Kunstvereine, Projekträume und der Museen für zeitgenössische Kunst, ist es, als experimentelle Plattform in situ Neuproduktionen von Künstler:innen zu präsentieren und diesen jenseits wirtschaftlicher Zwänge des Kunstmarkts einen Karriereschritt zu ermöglichen.
Allerdings verlangen diese in sich relevanten Kunstwerke, die selten gewinnbringend verkäuflich sind, oft mehrwöchige Engagements der Künstler:innen. Eine dem angemessene Honorarzahlung der Künstler:innen ist daher zwingend notwendig.
Jedoch trifft die berechtigte Honorarforderung vor allem bei den Kunstvereinen und Projekträumen auf finanzschwache Partner. Schon für Museen dürften die Honorarkosten finanziell herausfordernd sein, für Kunstvereine und Projekträume, deren Budgets bekanntlich unzulänglich sind, könnte es zur Existenzfrage werden.
Die Lage ist umso tragischer als beide Seiten – Künstler:innen wie Produktionsorte – gemeinsam aktuelle Kunst schaffen und ermöglichen. Sie zusammen bilden, nach dem Prinzip des „delayed value“, den Humus für all die großen und marktbefeuernden Ausstellungen. Sie sorgen für den „Content“ und speisen neue Kunst in die „Pipeline“ des Ökosystems visuelle Künste ein. Ohne diesen Input bleibt auch die Wertschöpfung, die in der Regel an anderer Stelle geschieht, aus. Ein enorm wirksamer Zwischenraum, der in der Honorarmatrix unbeachtet blieb.
(K)ein unlösbares Dilemma!
Was passiert zwischen den Rundgängen der Akademien und den Blockbuster-Ausstellungen in den großen Landesmuseen und im internationalen Kontext? Wie gelingt die künstlerische Entwicklung, die kulturelle Bildung des Publikums, die Ausbildung von Kurator:innen und künftigen Museumsleiter:innen? Was wären Museen ohne Kunstwerke, was wären Städte ohne Kunsttourismus, was wäre unsere Gesellschaft ohne den Spiegel der Kunst, was unser Erbe ohne Kunstwerke als Zeitzeugen?
Künstler:innen, Kunstvereine, Projekträume, Kunstmuseen – sie alle sind Akteur:innen des Ökosystems visuelle Künste. Als systemische Einheit befeuern sie mit ihrer ästhetischen und inhaltlichen Innovationskraft die Weltoffenheit, Toleranz und Lebendigkeit unserer Gesellschaft. Sie alle müssen adäquat honoriert bzw. ausgestattet sein, um – frei von merkantilen oder politischen Zwängen – ihre gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen.
Daher sollte die öffentliche Hand ihrer Verantwortung gerecht werden und die Fördermittel für die visuellen Künste, insbesondere den Innovationsbooster freie Kunstszene, angemessen erhöhen.
Wir empfehlen
- die Mittel für die nicht institutionell geförderten Akteur:innen des Ökosystems visuelle Künste in NRW um mindestens 15% anzuheben,
- Honorarpauschalen, abgestuft nach „Neuproduktion“, „Modifikation“, „Aufbau“ und „Aktionen“ (Performance, Vortrag usw.) einzuführen sowie
- die Grundlagen, Begrifflichkeit und Ausgestaltung der Ausstellungsvergütung zu konkretisieren.
Ohne zusätzliche finanzielle Ressourcen kann die von allen Akteur:innen des Ökosystems visuelle Künste als notwendig erachtete Verpflichtung zur Zahlung von Mindesthonoraren an Künstler:innen nur unzureichend umgesetzt werden.
Für einen konstruktiven Austausch stehen wir als Vorstand des NRW Landesverband visuelle Künste e.V. gerne zur Verfügung.
Kristina Scepanski, Christoph Westermeier (Sprecher:innen)
Jennifer Cierlitza, Iris Hoppe, Karin Lingl
Ansprechpartnerin: Karin Lingl, lingl@visuelle-kuenste-nrw.de
* Die Ausstellungsvergütung ist lt. BBK Bundesverband eine Abgabe für die Nutzung des geistigen Eigentums der bildenden Künstler:innen (Kunstwerke) für eine begrenzte Dauer (Ausstellungszeitraum). Die Forderung nach einer Ausstellungsvergütung fußt auf der im Urheberrechtsgesetz (UrhG) vorgesehenen Vergütung für eine Werknutzung anderer Kultursparten wie Musik und Literatur und ist unabhängig von den o.g. Honorarempfehlungen für künstlerische Arbeit zu betrachten. Die Ausstellungsvergütung betrifft nicht Werke, die im Besitz der Ausstellenden sind, sofern letzteren die Ausstellungsrechte eingeräumt wurden, wovon bei einem vorangegangenen Kauf auszugehen ist.